Comeback der „Sweet Voices“ geplant
Überalterung, Vereinsmüdigkeit, elektronische Medien sowie deren Überangebot an Unterhaltung und damit Freizeitbeschäftigung machen es heute schwer, junge Menschen für den Gesang zu begeistern. Waltraud Seidel versucht es trotzdem.
Loßburg – Seit mehr als einem Jahr bemüht sich Seidel, einen kreisweiten Chor für Jugendliche ab 14 Jahren zu installieren. Wieder, muss man sagen, denn vor der Corona-Pandemie sei die Welt fast noch in Ordnung gewesen.
„Ich bin der festen Überzeugung, wenn die Jugendlichen erst einmal da sind und sich auf das ›Abenteuer Singen‹ einlassen, werden sie bleiben“, sagt Seidel, Leiterin der „Jungen Chöre Loßburg“. Sie zählt auf die Mithilfe der Eltern und hofft, dass sie die Flyer, die fast überall im Kreis ausliegen, mit nach Hause nehmen und ihre Kinder ermutigen, es auszuprobieren. Mehr sei es nicht. „Einfach mal schauen, ob es einem gefällt, ob einem die Gleichaltrigen zusagen, ob das vielleicht genau das Hobby ist, nach dem man gesucht hat.“
Chorverband um die Hälfte geschrumpft
Sie ist überzeugt: „Kinder singen immer gerne.“ Sind sie von Kindesbeinen an dabei, bleiben sie es auch meist, vorausgesetzt, ihnen wird eine Alternative zum Kinderchor angeboten, aus dem sie mit der Zeit naturgemäß herauswachsen. Für einen Erwachsenenchor seien Teenager aber zu jung. Selbst für die „No Limits“, den Chor für junge Frauen, seien 14-Jährige einfach zu jung. Deshalb gibt es nun die Initiative, den Jugendchor „Sweet Voices“ wiederzubeleben.
Dass Seidel mit diesem Problem nicht alleine ist, zeigen die Statistiken. Bestand der Chorverband Kniebis-Nagold vor 20 Jahren noch aus fast 2000 aktiven Mitgliedern, so ist diese Zahl aktuell um 50 Prozent niedriger. Manche Chöre haben sich ganz aufgelöst. „Die Landschaft der Laienchöre hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert“, sagt Hermann Friedrich, zweiter Vorsitzender des Chorverbands Kniebis-Nagold. Die demografischen Veränderungen der Gesellschaft haben Wirkung gezeigt, ebenso die ökonomischen und individuellen Strukturen oder Belange. Dazu habe die Pandemie für viele einen letzten Anstoß gegeben, nicht mehr aktiv weiterzusingen.
Schulstress und Sorgen vergessen
Auch Seidel musste das feststellen. „Wir durften fast zwei Jahre lang keine Proben abhalten.“ Waren die Kinder in der ersten Zeit traurig darüber, merkten sie mit der Zeit, es geht auch ohne. „Das Handy bot Unterhaltung genug.“ Sind die Kinder erst einmal weg, sei es schwierig, sie zurückzugewinnen. Wenn diese Hürde überwunden ist, dann werden die Jugendlichen bleiben, ist Seidel überzeugt, denn: „Im Chor kann man Freunde treffen oder neue gewinnen, man hat gemeinsam Spaß, lernt neue Lieder kennen, viele wachsen über sich hinaus, tauchen ab in die Welt der Musik, vergessen dabei Schulstress und Sorgen.“
Im Kinderchor seien es genügend Mädchen und Jungen. Seidel betreut im Moment 30 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Auch beim Frauenchor „No Limits“ seien nach der Pandemie alle wiedergekommen. „Hier gibt es ein anderes Problem“, sagt Seidel lachend: „Wir haben einen Mama-Boom.“ Zehn Sängerinnen der „No Limits“ haben im vergangenen Jahr ein Baby bekommen und sie können nur noch unregelmäßig zu den Proben kommen. Jedoch habe keine der Frauen dem Chor den Rücken gekehrt, alle 32 seien geblieben.
Nur noch drei Mädchen übrig geblieben
Einzig und allein der Jugendchor sei zusammengeschrumpft. Waren es einst 25 Jugendliche, die dort gesungen haben, haben vier der über 20-Jährigen zu den „No Limits“ gewechselt, doch von den anderen seien nur noch drei Mädchen übrig geblieben, die so gerne im Chor singen würden, für den Kinderchor jedoch zu alt und für den Frauenchor zu jung sind. Alle anderen haben sich nicht mehr gemeldet, waren nicht mehr greifbar. „Schade“, findet Seidel, lässt sich aber nicht entmutigen. Noch einmal will sie es probieren, lädt für Freitag, 20. Januar, um 17.45 Uhr zum Kennenlernen ins Foyer der Gemeinschaftsschule Loßburg ein. Sollten sich genügend melden, wird wieder jeden Freitag von 17.45 bis 18.30 Uhr geprobt. Die Einladung gilt für alle Jugendlichen ab 14 Jahren aus dem ganzen Kreisgebiet.
Auch Friedrich setzt große Hoffnung auf diesen Jugendchor. Die heutigen Zeiten verlangten Offenheit für neue Strukturen und Unternehmungen. Seidel sei diesbezüglich schon immer eine Vorreiterin gewesen. Sie habe nie an alten Zöpfen festgehalten und ihre Konzerte seien schon lange kein Geheimtipp mehr.
Umstrukturierung des Schwäbischen Chorverbands
Der Schwäbische Chorverband will den Schwierigkeiten auch durch eine Umstrukturierung seiner bislang 23 Verbände begegnen. Aus 23 werden vermutlich bis zum 175-jährigen Jubiläum im Jahr 2024 etwa elf oder zwölf neue, dann aber größere Verbände. Die frühere Orientierung an ehemaligen Oberamtsgrenzen soll fallen. An diese Stelle werden die modernen Kreisgrenzen treten.
Bärbel Altendorf-Jehle, Schwarzwälder Bote